jeudi 29 mai 2008

Die Yezidi-Kurden von Tbilissi

Artikel erschienen am 20/12/2006
Von Nicolas LANDRU in Tbilissi, übersetzt von Gudrun STAEDEL-SCHNEIDER


© Nicolas Landru (Tbilissi, kurdisches Zentrum)

„Internationales kurdisches Kultur- und Informationszentrum“ steht am Eingang des Kellers in einem abfallenden Sträßchen im Stadtteil Mtatsminda in Tbilissi. In den Räumen ist die Wärterin Erika Mouradian oft die Einzige, wenn sich nicht gerade ein Teil der Gemeinde dort an Festtagen trifft. Diesmal scheint das Warten auf die Musiker aus Armenien, die im Zentrum aufspielen sollten, vergeblich gewesen zu sein. Zu sowjetischen Zeiten war die Gemeinschaft der Yezidi-Kurden in Tbilissi sichtbar und aktiv, heute ist sie auf ein Minimum geschrumpft. Sie ist zweifellos die am meisten gefährdete aller georgischen Minderheiten, so unstrukturiert und zersplittert wie sie ist.

Im Eingangsbereich des Zentrums stehen nur zwei Tische und ein Fernseher. Aber er ist reich dekoriert: kurdische Fahne und Stern, eine Foto-Ikone von Lalish, dem zentralen Heiligtum der yezidischen Religion im Irak, mit den Symbolen dieser Glaubensrichtung: Flocke, Pfau, drei Kuppeln, ewige Flamme. Und riesige Portraits von Abdullah Öcalan, dem 1999 von türkischen Geheimdienstlern verhafteten Führer der PKK, der erst zum Tode verurteilt und dann unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit begnadigt wurde.

Was sich 1999 nach seiner Verhaftung in Georgien abspielte, ist bezeichnend für die Situation der kurdischen Gemeinde in Georgien. Einige Hundert demonstrierten in den Straßen Tbilissis ihre Unterstützung für Öcalan, den Führer der kurdischen Sache. Ein anderer Teil der Gemeinde, der sich an dieser Schlacht nicht beteiligen wollte, widersetzte sich dieser Mobilisierung.

Folgende Anekdote mag das Verständnis der georgischen Gesellschaft für die Probleme der Kurden illustrieren: Es wird erzählt, dass, als der Polizeichef von Tbilissi hörte, dass die Kurden im Vorort Samgori wegen der Verhaftung eines gewissen Öcalan demonstrierten, er seinen Truppen den Befehl gab, diesen Banditen zu befreien. Kriminelle oder Straßenkehrer – die Frauen, die bei Tagesanbruch in den Straßen Tbilissis ausschwärmen, um die Stadt sauber zu halten, sind fast ausschließlich Kurdinnen, denn dieser Beruf ist ihnen vorbehalten – das ist grosso modo das Bild, das die Gesellschaft von ihnen hat. Trauriger Zufall oder nicht: im Georgischen heißt Kurde „kurti“ und Dieb „kurdi“.

Kurdische Identifizierung

Im yezidischen Zentrum kann Erika sechs verschiedene kurdische Fernsehsender empfangen, darunter ROJ, die aus Dänemark ausgestrahlte Stimme der PKK, und MED-TV aus Belgien. Regelmäßig wird ihr aus Armenien die auf armenisch, russisch und kurdisch erschienene Presse mitgebracht. Doch es gibt keine kurdische Zeitung auf georgisch. Das Zentrum widmet sich ausschließlich der internationalen kurdischen Frage: eine russischsprachige Zeitung nennt sich selbst Freies Kurdistan, eine andere, Freundschaft, titelt „Öcalan, unser Führer“.

Während der Fernseher läuft, erklärt Djemal die den Kurden angetane Ungerechtigkeit, da ja alle anderen Nationen ein Territorium erhalten hätten. Die Schaffung eines kurdischen Staates, das ist sein Traum. Bei der Mitteilung, dass Saddam Hussein, der wegen der Tötung tausender Kurden angeklagt war, zum Tode verurteilt wurde, empfindet Erika ungehemmte Freude: es wurde Recht gesprochen.

Dass sich die Yeziden von Tbilissi in der Kurdenfrage mit der kurdischen Position identifizieren geht noch aus einem anderen Umstand hervor: anlässlich eines Fußballturniers, das der georgische Fußballverband mit dem Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) im Dezember 2006 für die Religionsgemeinschaften in Georgien organisierte, nannte sich die yezidische Mannschaft „Barsani“, mit Bezug auf die größte kurdische Tragödie in der irakischen Geschichte, als nämlich Saddam Hussein alle Menschen mit dem Namen Barsani 1983 verhaften und ermorden ließ.

Kurden oder Yeziden?

Dennoch ist die Identifizierung dieser kaukasischen Bevölkerungsgruppe mit der kurdischen Sache weit davon entfernt, augenfällig zu sein. Im Hauptraum des Zentrums, zwischen den kurdischen Fahnen und den Öcalan-Portraits, sind die yezidischen Symbole genauso stolz zur Schau gestellt. Im Nebenraum befindet sich ein Tempel, in dem die Getreuen die Festtage feiern. „Es ist unsere kurdische Religion,“ sagt Erika.

Doch die religiösen Unterschiede innerhalb der kurdischsprachigen Bevölkerungsgruppen, vor allem im Kaukasus, wirbeln die Identitäten stark durcheinander. Während die Mehrheit der Kurden in der Türkei, im Irak oder in Syrien sunnitisch sind, praktizieren die Yeziden eine alte Religion, die den Pfau, das Symbol des zum Engel gewordenen Teufels, die Flamme und die Sonne verehrt, in einem kuriosen Synkretismus aus zoroastrischem Glauben, Christentum, Islam und Judentum.

Aus den kollektiven Identitäten, die sich vor langer Zeit um religiöse Prinzipien gebildet haben, sind zwei unterschiedliche Gemeinschaften entstanden. In Georgien wurden bei der Volkszählung von 1926 ungefähr 10.000 Kurden und 2.000 Yeziden gezählt. Durch die Deportationen der meisten Muslime durch Stalin 1944 kamen die Yeziden bei der Volkszählung 2002 auf 18.329 gegenüber 2.514 Muslimen. Die muslimischen Kurden hatten sich inzwischen – wie in Armenien – überwiegend in die aserische Gemeinschaft integriert. Sie werden bei Volkszählungen oft als Aseris gezählt, und einige von ihnen haben im heutigen Georgien sogar die aserische Staatsbürgerschaft.

Doch innerhalb der yezidischen Gemeinschaft sind die Abspaltungen immer noch wichtig. Gruppierungen, Organisationen und Einzelpersonen tragen alle möglichen Bezeichnungen, von „ethnische Yeziden“ über „kurdische Ethnie mit yezidischer Religion“ bis hin zu einfach „ethnische Kurden“. Wenn auch im Namen des kleinen Zentrums in Mtatsminda das Wort „yezidisch“ nicht vorkommt, so heißt doch die wichtigste kulturelle Organisation der Gemeinschaft in Georgien „Union der Yeziden in Georgien“, die keinerlei Bindungen mit den muslimischen Kurden oder der Bewegung der PKK anerkennt. Die armenischen Schulbücher gehen auf das „yezidische Volk“ ein, aber mehrere Organisationen aus Tbilissi haben sich deswegen schon bei der armenischen Botschaft beschwert. Die Gemeinschaft hat wenig Chancen, zu einem Konsens zu kommen.

Marginalisierung und Zersplitterung

In Armenien lebt mit fast 40.000 Seelen die wichtigste kurdisch-yezidische Gemeinschaft des Kaukasus. Sie ist auch die am besten organisierte und wird noch am ehesten in der Öffentlichkeit wahrgenommen. In Georgien wurden 1989 33.331 und 2002 20.843 Kurden gezählt, aber die Gemeinschaften vor Ort schätzen nicht mehr als 6.000.

Aufgeblähte Zahlen, um die katastrophale Emigration aus Georgien zu verschleiern? In den 1980er Jahren war die Gemeinschaft in Tbilissi noch gut sichtbar, denn in der Stadt gab es eines der renommiertesten Theater der kurdischen Welt. Dadurch, dass ihnen öffentliche Positionen und die meisten Berufsfelder verwehrt sind, dazu noch ohne Sprecher oder föderale Organisation, haben die yezidischen Kurden heute laut einem Bericht der Internationalen Föderation der Menschenrechte die am meisten gefährdete soziale Position des Landes inne.

In dem Zentrum in Mtatsminda sprechen die Frauen von ihren Söhnen in Russland, von ihren Töchtern in Deutschland, in Frankreich oder in Kanada. Tatsächlich löst sich die Gemeinschaft seit 1989 auf, und die Verluste durch Emigration sind die höchsten unter den Minderheiten in Georgien.

Es ist bezeichnend für ihre Zersplitterung, dass die jungen Leute, die hier keine Zukunft sehen, ihre Chancen oft in Armenien suchen, obwohl die wirtschaftliche Situation dort in vielen Dingen schlechter ist als in Georgien.

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